ANDENKEN, GEDENKEN, ERINNERUNG
(membran: durchlässige Haut)
Die Arbeit remembrance II (2018) schliesst an die Arbeit remembrance von 2013 an.
Von meinem Arbeitsort in Italien ausgehend, besuche ich immer wieder Friedhöfe der umliegenden Dörfer. Zum Andenken der Verstorbenen befinden sich häufig Fotografien in Form von kleinen Medaillons auf den Grabsteinen.
Ich lasse mich von einem bestimmten Blick anziehen:
«die Aura des Blicks» (Buyn Chul Han), der Kamera zugewandt, dabei eine Distanz wahrend, ein Zurücktreten, da sein und entziehen, gleichsam von Ferne in die Ferne schauend.
Die Personen blicken in dem Moment des Entstehens der Aufnahme in die Kamera.
Das damalige «es ist so gewesen» (Barthes) trifft auf meine jetzige Wahrnehmung, sowohl des Ansehens, als auch des Angesehen-werdens aus einer fernen Vergangenheit; im Sinne von «regarder», was «ansehen» und «betreffen» heisst, und «ça me regarde», «es betrifft mich», «es geht mich an».
Bei einem nächsten Gang über den Friedhof zeichne ich meine Schritte auf, die mich an den Ort zurückführen, indem ich die Bewegungen meines gehenden Körpers mittels eines Bleistifts auf ein Blatt Papier übertragen lasse.
Die daraus resultierende Zeichnung scanne ich ein, wähle einen Ausschnitt, um ihn mit dem jeweiligen Portrait zu verbinden: einer Zeitspur gleich, die damaliges und heutiges Geschehen zusammenführt.
Die «bezeichneten» Fotos kombiniere ich mit einer zweiten Arbeit. Ich scanne die Rückseite von alten Briefen aus meiner Familie ein, die aus der gleichen Zeit stammen wie die Fotografien.
Ich lasse den Hintergrund mit seinen durchdringenden Tintenspuren zum Vordergrund werden.
Beim Einscannen lasse ich Licht ein, das zu waagerecht angeordneten Lichtstreifen wird. Das jetzige Licht verbindet sich mit dem Licht, in dem der Brief damals geschrieben wurde.
NO THING
Vertraute alltägliche Gegenstände werden in eine Art Schwebezustand versetzt, in ihrer jeweiligen Erscheinungsform und Fixierung befragt, quasi in Bewegung versetzt.
Im Sinne von I. Christensen:
«Ob nicht das Ding bei sich selbst weiss, dass es anders heisst?».
Und bei Benjamin heisst es: «Um die Dinge wahrzunehmen, muss man ihren Blick erkennen. Die Dinge schauen uns an, aber wir schauen nicht zurück».
Ich zeichne mit schwarzer Ölkreide schnell und möglichst unmittelbar (ohne zu «wissen, wie es geht») Gegenstände auf ein Blatt.
Diese Zeichnungen lege ich auf den Scanner und bedecke sie mit Seidenpapier, das schon als Schutz für wertvolle Gegenstände verwendet wurde und deshalb verknittert ist. Beides scanne ich zusammen ein.
Die in den Hintergund getretene, durch das Seidenpapier verblasste Zeichnung hole ich durch einen einfachen Vorgang auf dem Computer in den Vordergrund, wobei das Schwarz das Seidenpapier durchdringt, welches jetzt zum Hintergrund der Zeichnung wird.
Mich interessiert, das Vertraute unvertraut wahrzunehmen, indem ich mit ihm in Resonanz trete und Zuschreibungen in den Hintergrund treten lasse.
Stephanie Tangerding